Der Rostocker Birger Voigt forscht in Kyoto

Burkhard Ehlers
Ostsee-Zeitung

Vor 22 Jahren nahm der Rostocker Biomediziner Birger Voigt ein Angebot der Medizinischen Fakultät der Universität Kyoto an. Seither arbeitet er als Gastprofessor an der Erforschung von Krebsursachen. Beim 1. LAV Rostock ist er als Trainer tätig.

Es gibt Momente, die eine Lebensplanung komplett verändern. Birger Voigt erlebte einen solchen Moment Ende der 90er-Jahre, als er am Institut für Pathophysiologie der Greifswalder Universität in Karlsburg an seiner Dissertation arbeitete. Ein Professor aus dem japanischen Kyoto hatte ihm bei einem Besuch in Karlsburg kurz zuvor ein verlockendes Angebot unterbreitet – der Gast aus dem Fernen Osten konnte sich eine Zusammenarbeit mit dem jungen deutschen Kollegen vorstellen. Der nahm die Offerte 1998 als frischgebackener Doktor an. ‘Das war schon der blanke Wahnsinn’, erinnert sich Voigt, der ‘seit dem krankheitsbedingten Tod meiner Mutter schon immer forschen wollte.’

Und so ließ sich der gebürtige Rostocker, der in der Hansestadt aufgewachsen war und dort sein Abitur gemacht hatte, von den Anfangsproblemen fern der Heimat nicht unterkriegen. Professor Tadao Serikawa, sein neuer Chef, war der einzige Kollege in Kyoto, der Englisch sprach und ihn bei der Bewältigung der ersten Probleme unterstützte. ‘Er besorgte eine Wohnung, half bei Meldeformalitäten und Einkäufen. Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich schnell wieder nach Hause gefahren’, glaubt Birger Voigt.

22 Jahre statt sechs Monate

Mittlerweile arbeitet er statt der einst geplanten sechs Monate 22 Jahre in dem ostasiatischen Staat mit den 6800 Inseln. Der Mecklenburger lebte sich fast 9000 Kilometer von zu Hause entfernt schnell ein. ‘Ich habe die Familie – Ehefrau Claudia, Apothekerin in Krakow am See, und unseren damals sieben Monate alten Sohn Marno (heute 22) – sehr schnell nachgeholt. Unsere Tochter ist sogar die ersten vier Jahre in Japan zur Schule gegangen’, bricht Voigt eine Lanze für ein Leben zwischen den Kulturen. Er spricht ebenso wie Tochter Lientje (19) fließend Japanisch.

Im Team zweier Nobelpreisträger

Inzwischen kann Birger Voigt, der seit 20 Jahren eine Gastprofessur in Kyoto besitzt, reisetechnisch ein wenig kürzertreten, arbeitet viel im Homeoffice in Rostock. Sein Team beschäftigt sich mit der induzierten Stammzellenforschung an Ratten sowie der Entwicklung gentechnischer Werkzeuge im lebenden Organismus. Der Rostocker hat in diesem Rahmen Höhepunkte erlebt, die nur wenigen Wissenschaftlern vergönnt sind. Er gehörte zu einer kleinen Gruppe um Professor Shinya Yamanaka, der gemeinsam mit dem Briten John Gurdon 2012 den Nobelpreis für Medizin erhielt. Sechs Jahre später ging die hohe Auszeichnung erneut an die Medizinische Fakultät der Universität Kyoto, an Professor Tasuku Honjo, dessen Fachgebiet die Erforschung von Therapien ist, bei denen das Immunsystem Krebszellen attackiert. Auch mit Honjo hatte Voigt zuvor eng zusammengearbeitet.

Derzeit findet die Familie wieder in Deutschland zusammen. Marno studiert mittlerweile Wirtschaftswissenschaften in Potsdam, Lientje möchte ein Medizinstudium in Leipzig beginnen und hat im Sommer in einem japanischen Restaurant in London die Gäste mit ihren Sprachkenntnissen verblüfft.

Kritik an Corona-Maßnahmen

Die Freude über die Rückkehr in die Heimat ist allerdings nicht ungetrübt. Als Wissenschaftler kritisiert der Biomediziner den Umgang mit der Corona-Pandemie. ‘Ich behaupte nicht, dass Corona ungefährlich ist’, sagt Voigt. Aber: Die Veröffentlichung der Zahlen der täglichen Neuinfektionen sei irreführend. ‘Wenn sich 20.000 Menschen an einem Tag positiv getestet werden, bedeutet das keineswegs, dass die Krankheit auch ebenso oft ausbricht. Beim Großteil der Betroffenen gebe es nur harmlose oder keine Symptome.

So habe die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erst Mitte Oktober eine Studie veröffentlicht, in der sie die weltweite Sterblichkeitsrate von Covid-19-Patienten von 3,0 auf 0,23 Prozent gesenkt hat. ‘Die meisten Gesundheitsämter in Deutschland registrieren Verstorbene allerdings nach wie vor auch dann als Corona-Opfer, wenn sie im Frühjahr mit Covid 19 infiziert waren und Monate später an einem Herzinfarkt sterben’, weiß Voigt, der weitere fundierte Vorbehalte gegen den Umgang mit der Pandemie hat.

Zweite Liebe ist die Leichtathletik

Doch trotz Corona: Der 1. LAV Rostock freut sich darüber, dass Birger Voigt viele Stunden seiner Freizeit der Leichtathletik in der Hansestadt widmet. Nachdem der spätere Wissenschaftler schon als jugendlicher Zehnkämpfer seine Liebe zum Sport entdeckt hatte, steht er dem Verein seit Jahren als Trainer zur Verfügung – mit Erfolg. So führte er zum Beispiel Hannah Bittorf 2014 zur deutschen Meisterin im Siebenkampf der Altersklasse 14, im August dieses Jahres holte Niklas Tuschling unter seinen Fittichen DM-Bronze im Zehnkampf der U 20. Kein Wunder, dass sich der Professor im Leichtathletikstadion (fast) genauso wohl fühlt wie im Labor.

(Quelle: https://www.sportbuzzer.de/artikel/der-rostocker-birger-voigt-forscht-in-kyoto/)