SPEERWURF FRAUEN | Christin Hussong kratzt an den 70 Metern

Svenja Sapper

Deutschlands Leichtathleten sprinten, laufen, gehen, springen, werfen und stoßen wieder! Leider 2021 aufgrund der fortwährenden Corona-Pandemie oft noch ohne Zuschauer. Aber auf der Ebene des Kader- und Leistungssports schon wieder mit fast allen hochkarätigen Wettkämpfen. Und schließlich auch mit den Olympischen Spielen in Tokio, die unter ganz besonderen Bedingungen stattfanden. Wir blicken zurück und ordnen, jeweils eingeleitet durch Interviews mit den Leitenden Bundestrainerinnen und Bundestrainern der Disziplingruppen, die Leistungen ein. Heute: der Speerwurf der Frauen.

Das ist 2021 passiert

An ihr führt kein Weg vorbei: Zum vierten Mal in Folge thront Christin Hussong unangefochten an der Spitze der deutschen Jahresbestenliste. Die Zweibrückerin zeigte über weite Strecken der Saison eine beeindruckende Konstanz: Gleich bei ihrem ersten Wettkampf Anfang Mai in Split (Kroatien) beförderte die Europameisterin ihren Speer auf 66,44 Meter und legte danach eine acht Wettkämpfe andauernde Siegesserie hin, darunter vier mit einer Weite von mehr als 66 Metern. Der Höhepunkt: 69,19 Meter bei den Team-Europameisterschaften in Chorzów (Polen). Die beste Weite einer deutschen Speerwerferin seit 2011.

Ausgerechnet bei den Olympischen Spielen in Tokio (Japan) lief es dann nicht rund: Mit 59,94 Metern wollte Christin Hussongs Speer nicht einmal über die 60 Meter fliegen. Die Folge: Das Aus nach dem Vorkampf als Neunte. Dass dieses Ergebnis nur ein Ausrutscher war, bewies die fünfmalige Deutsche Meisterin rund einen Monat später beim Diamond-League-Finale in Zürich (Schweiz). Mit 65,26 Metern holte sie sich den Gesamtsieg der Wettkampfserie und heimste neben 30.000 US-Dollar Preisgeld auch eine Wildcard für die WM 2022 in Eugene (USA) ein. Planungssicherheit für die 27-Jährige, die in Oregon um ihre erste globale Medaille kämpfen kann, bevor sie bei der Heim-EM in München als Titelverteidigerin an den Start geht.

Hinter der dominierenden Speerwerferin der vergangenen Jahre klafft jedoch eine immer größer werdende Lücke: Beinahe elf Meter trennen Christin Hussong und die Deutsche Vizemeisterin Christine Winkler (SC DHfK Leipzig), die mit 58,27 Metern die zweitbeste Weite des Jahres ablieferte. Mit 53,84 Metern blieb die EM-Teilnehmerin von 2018 Dana Bergrath (TSV Bayer 04 Leverkusen), vor drei Jahren noch 60-Meter-Werferin, weit hinter ihrer Bestleistung zurück. Die U23-Europameisterin von 2019 Annika Marie Fuchs – die Potsdamerin hatte 2019 in Doha (Katar) erste WM-Erfahrungen gesammelt – konnte nicht ins Wettkampfgeschehen eingreifen.

Meisterschaftsluft schnuppern durften einige Nachwuchsathletinnen im Juli in Tallinn (Estland): Erst belegte Julia Ulbricht (1. LAV Rostock) Rang sieben bei der U23-EM, eine Woche später warfen sich Lilly Urban (Eintracht Frankfurt) und Josefa Schepp (TSV Bayer 04 Leverkusen) ins Finale der U20-EM. Platz acht und zehn standen für sie in der estnischen Hauptstadt zu Buche. Wenige Wochen später schnappte sich Josefa Schepp in Rostock auch den deutschen Meistertitel der U20.

Internationale Erfolge

 MedailleFinalplatzierung
U20-EM8. Platz Lilly Urban (Eintracht Frankfurt), 10. Platz Josefa Schepp (TSV Bayer 04 Leverkusen)
U23-EM7. Platz Julia Ulbricht (1. LAV Rostock)
Olympische Spiele9. Platz Christin Hussong (LAZ Zweibrücken)

Unser “Ass des Jahres”

Christin Hussong (LAZ Zweibrücken) 
Deutsche Meisterin
Gesamtsiegerin der Diamond League
Zweite der Weltjahresbestenliste
Olympia-Finalistin

Unser “Talent des Jahres”

Josefa Schepp (TSV Bayer 04 Leverkusen)
Zehnte der U20-EM
Deutsche U20-Meisterin
Deutsche Jahresbeste der U20

Die deutschen Top Ten 2021

WeiteNameJahrgangVerein
69,19 mChristin Hussong1994LAZ Zweibrücken
58,27 mChristine Winkler1995SC DHfK Leipzig
55,77 mJulia Ulbricht20001. LAV Rostock
54,95 mJana Marie Lowka2000Eintracht Frankfurt e.V.
54,10 mCarolin Schäfer1991Eintracht Frankfurt e.V.
53,91 mLea Wipper2001SC DHfK Leipzig
53,89 mJosefa Schepp2003TSV Bayer 04 Leverkusen
53,84 mDana Bergrath1994TSV Bayer 04 Leverkusen
53,26 mLilly Urban2002Eintracht Frankfurt e.V.
52,57 mEmely Grenzer20021. LAV Rostock

Statistik: Das sagen die Zahlen

Das deutsche Top-Niveau: Speerwurf

Jahr<= 61,40* (WM-Norm 2017)Schnitt
Top 3
Schnitt
Top 5
Schnitt
Top 10
2005265,1062,2159,23
2006264,3962,6859,83
2007366,2663,9660,89
2008468,0764,9860,49
2009466,5864,4960,83
2010366,6664,2559,85
2011265,0162,8359,70
2012365,0562,6859,67
2013366,1263,0159,63
2014364,6961,9158,65
2015466,0963,9558,92
2016465,5463,4458,93
2017262,5859,6255,27
2018263,4760,5056,92
2019261,9959,3856,43
2020161,3359,7156,71
2021161,0858,4655,98

Entwicklungen Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich

JahrDeutschlandEuropaDiff.WeltDiff.
200570,03 (C. Obergföll)70,03 (C. Obergföll)0,0071,70 (Menendez/CUB)1,67
200666,91 (C. Obergföll)66,91 (C. Obergföll)0,0066,91 (C. Obergföll)0,00
200770,20 (C. Obergföll)70,20 (C. Obergföll)0,0070,20 (C. Obergföll)0,00
200869,81 (C. Obergföll)72,28 (Spotakova/CZE)2,4772,28 (Spotakova/CZE)2,47
200968,59 (C. Obergföll)68,92 (Abakumova/RUS)0,3368,92 (Abakumova/RUS)0,33
201068,63 (C. Obergföll)68,89 (Abakumova/RUS)0,2668,89 (Abakumova/RUS)0,26
201169,57 (C. Obergföll)71,99 (Abakumova/RUS)2,4271,99 (Abakumova/RUS)2,42
201267,04 (C. Obergföll)69,55 (Spotakova/CZE)2,5169,55 (Spotakova/CZE)2,51
201369,05 (C. Obergföll)70,53 (Abakumova/RUS)1,4870,53 (Abakumova/RUS)1,48
201467,32 (L. Stahl)67,99 (Spotakova/CZE)0,7767,99 (Spotakova/CZE)0,77
201567,69 (K. Molitor)67,69 (Molitor/GER)0,0067,69 (Molitor/GER)0,00
201666,41 (C. Hussong)67,11 (Andrejczyk/POL)1,7067,11 (Andrejczyk/POL)1,70
201765,37 (K. Molitor)68,43 (Kolak/CRO)3,0668,43 (Kolak/CRO)3,06
201867,90 (C. Hussong)67,90 (Hussong/GER)0,0068,92 (Mitchell/AUS)1,02
201966,59 (C. Hussong)67,40 (Ogrodnikova/CZE)0,8167,98 (Lu/CHN)1,39
202064,10 (C. Hussong)67,17 (Khaladovich/BLR)3,0767,61 (Lu/CHN)3,51
202169,19 (C. Hussong)71,40 (Andrejczyk/POL)2,2171,40 (Andrejczyk/POL)2,21

Das fällt auf:

  • Christin Hussong allein auf weiter Flur: Der Abstand zur zweitbesten deutschen Werferin ist auf fast elf Meter angewachsen. Seit Einführung der Disziplin-Checks klaffte noch nie eine derart große Lücke zwischen der Nummer eins und zwei der Bestenliste.
  • Das führt auch dazu, dass der Schnitt der Top Drei, Fünf und Zehn im Vergleich zu den Vorjahren niedriger ist – obwohl Christin Hussong in diesem Jahr fünf Meter weiter warf als 2020.
  • Nach dem Rücktritt der früheren Leistungsträgerinnen Christina Obergföll (Weltmeisterin 2013), Katharina Molitor (Weltmeisterin 2015) und Linda Stahl (Europameisterin 2010) hat die deutsche Speerwurf-Spitze in der Breite kontinuierlich abgebaut. Der Top-Drei-Schnitt hat den Tiefstwert seit Beginn unserer Aufzeichnungen erreicht.
  • Mut macht, dass mit sechs Speerwerferinnen mehr als die Hälfte der Top Ten im Jahr 2000 oder später geboren ist. Soll heißen: Entwicklungspotenzial ist vorhanden. Die Finals der U23- und U20-EM haben insgesamt drei Werferinnen erreicht. Setzen die Talente ihren Weg unbeirrt fort, dürften für sie die 60 Meter nicht außer Reichweite sein.
  • Mit Carolin Schäfer hat es eine Siebenkämpferin in die Top Fünf geschafft: Bei den Olympischen Spielen in Tokio gelang ihr ein Wurf auf 54,10 Meter – persönliche Bestleistung.
  • International hat erstmals seit 2013 wieder eine Athletin die 70 Meter übertroffen: Maria Andrejczyk aus Polen steigerte sich auf 71,40 Meter und führt damit die Welt- und europäische Jahresbestenliste direkt vor Christin Hussong an. Bei den Olympischen Spielen gewann sie Silber hinter der Chinesin Liu Shiying und ließ dabei auch Weltmeisterin Kelsey-Lee Barber (Australien), die sich Bronze sichern konnte, hinter sich.

(Quelle: https://www.leichtathletik.de/news/news/detail/75853-speerwurf-frauen-christin-hussong-kratzt-an-den-70-metern)