Leichtathletin aus der Müritz bei den Paralympics Durch den Sport zurück ins Leben gefunden (http://www.nordkurier.de)

von Hendrik Maaßen und Miriam
Jana Schmidt aus Klocksin bei Waren will Mittwochabend beim 100 Meter Sprint in London eine paralympische Medaille holen. Nach einem Sturz kann sie ihr rechtes Knie nicht mehr bewegen. Erst der Sport lockte sie aus ihrem Schneckenhaus, in das sie sich nach dem Unfall verkrochen hatte.

London (nk)

Was macht Jana Schmidt, wenn sie gerade keinen Sport macht? „Wann mache ich denn keinen Sport?“, fragt Schmidt lachend zurück. Das Leben der 39 Jahre alten Klocksinerin dreht sich, mit einer Unterbrechung, schon immer um die Leichtathletik. Die für den 1. LAV Rostock Startende trainiert täglich, gibt als Frührentnerin Kindern und Jugendlichen in Waren dreimal die Woche Leichtathletik-Training und hat vor ihrem Unfall als Sportbetreuerin gearbeitet.

Jana Schmidt ist zum zweiten Mal bei den Paralympischen Spielen dabei, der Sprint-Wettkampf ist dennoch eine Premiere. Vor vier Jahren in Peking trat das Multitalent noch im Kugelstoßen und im Speerwurf an. Damals hatte sie die Zeit – 18,9 Sekunden – einer Mannschaftskollegin gesehen und sagte selbstbewusst zum Sprint-Trainer: „Die laufe ich dir auch ohne Training“. Das wollte der Trainer sehen und Schmidt konnte ihr Wort halten.

Beim Training mit einer Kindergruppe fiel sie unglücklich aufs Knie

Sie konnte ihre Zeit sogar zusehends verbessern: Im Juni dieses Jahres lief sie mit 16,05 Sekunden auf 100 Metern Weltrekord. Inzwischen hat zwar die Australierin Kelly Cartwright den Weltrekord unterboten, aber Mittwochabend gäbe es die Chance, diesen wieder zurückzuholen. Doch Cartwright startet auch und bleibt Schmidts härteste Konkurrentin. Jana Schmidt will jedenfalls auf das Siegertreppchen. Dabei soll der Glücksbringer im Rucksack helfen, ein Teddybär mit einem Foto von Ehemann Andreas, Sohn Martin und Hund Nelly.

Durch den Sport fand Jana Schmidt in ein normales Leben zurück. Als sie 2003 ihrer Kindergruppe beim Training das Starten aus dem Startblock vormachen wollte, fiel sie unglücklich aufs Knie. Als das Knie nach drei Tagen immer noch weh tat, ging sie zum Arzt: Ihre Kreuzbänder war innen und außen gerissen. Der Arzt verordnete Ruhe und sagte, eine OP sei vor dem Weihnachtsurlaub nicht mehr möglich. Dann fing sich Schmidt eine Thrombose ein und wurde erst Monate später operiert. Was dabei genau passierte, weiß sie bis heute nicht. Den OP-Bericht hat sie nie gesehen. Alles, was sie zu hören bekam, weiß sie selbst am besten: Seit der OP ist ihr rechtes Knie steif, das Bein lässt sich nicht mehr beugen.

“Alle präsentierten ihre Prothesen ganz offen. Das fand ich schrecklich”

Als Jana Schmidt klar wurde, dass ihr Knie nie mehr so beweglich sein würde, wie es einmal war, begann sie zu grübeln: „Ich ging überhaupt nicht mehr aus dem Haus, wollte nicht ins Restaurant, nicht ins Konzert, überhaupt nichts. Die einzigen Termine, die ich wahrnahm, waren meine Arztbesuche.“ So blieb sie zwei Jahre lang zurückgezogen. Dann sagte ihr Mann, es müsse sich etwas ändern und suchte Kontakt zu einem Behindertensportverein.

2006 sah sich Schmidt zum ersten Mal eine deutsche Meisterschaft der Behindertensportler an und war völlig schockiert: „So viele Behinderte auf einem Haufen und alle präsentierten ihre Prothesen ganz offen. Das fand ich schrecklich“, erinnert sich die Mecklenburgerin. Als wenige Monate später wieder ein Wettkampf anstand, nahm sie dennoch am Speerwerfen teil. „Einfach so. Ich humpelte mit meinen Krücken auf den Platz und wollte mal gucken, wie weit ich den Speer werfen kann“, sagt sie. Jana gewann die Silbermedaille und hatte eine Einladung zu einem Nachwuchslehrgang vom Behindertensportverband in der Hand.

Inzwischen fühlt sie sich unter den paralympischen Sportlern sehr wohl: „Hier glotzt niemand, weil du komisch gehst. Hier gibt es so viele Behinderungen, das ist ganz normal“, sagt sie. Mittlerweile zieht sie auch wieder kurze Hosen an, was sie früher nie gemacht hätte. Die Carbon-Orthese, die ihrem Knie beim Sport Halt gibt, zeigt sie jetzt ohne Scham.

SMS vom Sohn nach dem Wettkampf

Vergangenen Sonntag trat Jana Schmidt bei den Paralympics in London bereits im Weitsprung an und belegte Platz 14. „Es war klar, dass ich da keine Medaillenchancen habe, aber es lief wirklich schlecht“, sagt sie.

Ihr Sohn Martin schickte ihr nach dem Wettkampf eine SMS: „Hab dich im Fernsehen gesehen. Denk nicht weiter darüber nach, deine Disziplin kommt am Mittwoch.“ Gemeinsam mit ihrem Trainer analysierte sie den verpatzen Weitsprung. „Das ist abgehakt, jetzt habe ich den Kopf frei für den Sprint heute Abend“, sagt sie.

Während des Wettkampfes erkennt man die Leichtathletin sehr einfach: An ihren vielen Tätowierungen. Auf der linken Schulter prangt das Symbol des Internationalen Paralympischen Komitees und der Schriftzug „Peking 2008“, wenige Zentimeter darunter steht „London 2012“. „Als ich von meiner Nominierung erfuhr, vereinbarte ich sofort einen Termin mit meinem Tätowierer“, sagt Schmidt. Und auf ihrem Schulterblatt ist noch viel Platz.